Corona-Pandemie

Mangelnde Impfquote: So könnte die Kommunikation es richten

02.12.2021 - 68,4 Prozent der Deutschen sind vollständig gegen COVID-19 geimpft - zu wenig, um die Pandemie endlich in den Griff zu bekommen. Die mangelnde Impfquote sei ein Kommunikationsproblem, bemängeln Gesundheitsexperten. Wie die Politik statt dessen kommunizieren sollte:

von Christina Rose , Joachim Graf

Zwar sind in Deutschland mehr als zwei Drittel vollständig geimpft, doch das Gesundheitssystem ist durch die Virusvarianten Delta und in den nächsten Wochen wohl auch durch Omikron an der Grenze der Belastbarkeit. Entsprechend liegt der Fokus auf den verbliebenen ungeimpften 30 Prozent, was rund 15 Millionen Menschen entspricht, bei denen sich Sars-CoV-2 ungehindert vermehren kann. Das bedeutet, dass zu viele schwer Erkrankte gleichzeitig in die Krankenhäuser kommen. Die Impfquote muss hoch - vor allem auch in Hinblick auf die unausweichlichen nächsten Wellen. Wie aber sollte die Kommunikation aussehen, um Impfskeptiker endlich zu überzeugen? ONEtoONE hat Kommunikationsexperten befragt:

"Als erstes wäre es von Vorteil eine Basis bei allen Politikern zu schaffen: Stets die Wahrheit sagen und rechtschaffen handeln", plädiert Eduard Wensler, Marketing Automation Spezialist   . "Aufbauend darauf das Gesagte ins zeitnahe Handeln verwirklichen. Fehler eingestehen, aber auch für fahrlässige Fehler klar bestraft werden - wie bei jedem Verbrechen gleichfalls vorgegangen wird. Sind Handlungen und/oder die angestrebte Gesetzgebung weitreichend, so ist eine Volksabstimmung vorzuziehen. Vertrauen ist ein hohes Gut, welches die Politiker schon lange verspielt haben."

Die Glaubwürdigkeit der Politiker hält Digital-Urgestein Jochen Rabe   dagegen nicht für ausschlaggebend. "Wenn dies der wesentliche Grund für Impfskeptiker wären, dann wären die Impfquoten überall gering." In demokratischen, d.h. pluralistischen Systemen gebe es nirgendwo eine objektive Wahrheit, die alle Politiker vereint. "Dafür ist die Welt viel zu komplex. Subjektive Interpretationen und Ziele lassen politische Landschaften mit extremen Rändern weit über Wahrheiten hinaus entstehen. Zudem glauben viele Menschen nur das, was sie wollen - siehe Interpretation der pandemischen Lage und Impfungen als Lösungen." Auch in Ländern wie Portugal - immerhin mit einer Impfquote von knapp 88 Prozent Spitzenreiter in Europa -, Italien oder Spanien werde die Glaubwürdigkeit und Eignung von Politikern in Frage gestellt - "vermutlich sogar stärker als bei uns", so Rabe.

"Impfangebot ist zu larifari"

PR-Experte Achim von Michel   , führt als Positiv-Beispiel Wien an: "BürgerInnen erhalten einen offiziellen Brief mit bereits festgelegtem Impftermin. Das wirkt ganz anders als dieses abstrakte Impfangebot. Das ist viel zu larifari." Sehr schön findet er auch den dekorierten Gebirgsjäger in Italien als "Gesicht"   oder der Konteradmiral in Portugal   . "Militär wäre in Deutschland zwar eher schwierig", räumt er ein. "Aber ein Arzt/eine Ärztin, der/die den ganzen Tag nichts anderes tut und in allen Talkshows sitzt: wunderbar." Weder Jens Spahn noch Helge Braun seien dafür geeignet.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sei zwar geeignet, habe aber kein Mandat. "Das ist sein persönliches Hobby", formuliert es von Michel. Und als "Gesicht" hält er Lauterbach für "viel zu alarmistisch. Er ist fachlich toll, ohne Frage, aber ein großer Psychologe ist er nicht". 'Vertrauen Sie mir, ich bin Arzt', müsste laut PR-Fachmann von Michel die Botschaft sein.

Es würde der Impfkampagne helfen, wenn eine "muttersprachliche Kommunikation mit den verschiedenen ethnischen Gruppen vor Ort" stattfinden würde und eine "direkte Impfmöglichkeit" gegeben wäre, plädiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikator Aljoscha Walser   .

Ulf-Hendrik Schrader, Geschäftsführer der PR- und Marketingagentur Aufgesang   , setzt auf mehr konstruktiven Dialog: "Weniger schwarze Rhetorik, Skeptiker nicht beleidigen, den Souverän nicht als Untertan behandeln, kritische Experten nicht ausgrenzen, sondern einbeziehen, logisch nachvollziehbare Regelungen zur Stärkung des Vertrauens in die Zurechnungsfähigkeit der Politik und die Zulassung von Totimpfstoffen nicht unnötig hinauszögern."

Während Mark Steier, Betreiber von Wortfilter.de   , gerne eine Impfpflicht kommunizieren würde, müsste man laut Online-Marketingexperte Mario Fischer   erst einmal die Lücke finden, die demnächst Ex-Kanzlerin Angela Merkel beim Erklären an die Bevölkerung hinterlassen habe.

Mut zu unbequemen Entscheidungen und kein Juristendeutsch

SEO-Profi Niels Dahnke   empfiehlt, "sich nicht vor unbequemen Entscheidungen zu drücken". Manchmal seien Entscheidungen erforderlich, die nicht jeder und nicht jede in der eigenen Partei oder jeder Bürger oder jede Bürgerin gut finden müsse. Auch für ihn ist eine "klare, ehrliche Kommunikation in der Sprache der Menschen" unerlässlich: "Kein politisches Blabla und kein Juristendeutsch. Wirklich erklären, auch wenn es anstrengend ist. Transparenz auch an Stellen beziehungsweise in Situationen, in denen es unbequem ist."

Regelungen und Gesetze müssten konsequent durchgesetzt, Verstöße sofort oder sehr zeitnah geahndet werden, betont Dahnke. Das bedeute auch, "Querschwurbler, die gegen Dienstpflichten verstoßen, nicht einfach nur auf eine andere Position zu versetzen. Und solche Verstöße im Rahmen des Datenschutzes ebenfalls öffentlich zu kommunizieren. Keine Extras für Privilegierte, keine Klientelpolitik - und das muss auch in der Kommunikation deutlich werden."

Lieber Impfstoffe verschenken, als künstlich verknappen

Kommunikation und Handeln müssen zusammenpassen. Dahnke: "Also lieber Impfstoffe verschenken, als irgendeine künstliche Verknappung zu schaffen, nur weil das Haltbarkeitsdatum abläuft."Ebenso gehöre dazu, dass die Wertschätzung für MedizinerInnen, Pflegepersonal und ähnliche Berufe nicht nur mit Klatschen kommuniziert wird, sondern sich die Gesamtsituation - auch finanziell - verbessert. "Und dazu reichen keine Ankündigungen und salbende Worte", fordert Dahnke.

Für Kommunikationsberater Christof Fischoeder   wurde in den vergangenen 12 Monaten genug erklärt, wie Impfen wirkt, welchen geringen individuellen Risiken den enormen gesellschaftlichen Nutzen entgegenstehen. "Wer das nicht wahrnimmt, dem helfen auch andere Kommunikationsformen nichts", so seine Schlussfolgerung. Allenfalls Sanktionen kommunizieren: "Wenn klar wird, dass ungeimpft in Bus und Bahn über 1000 Euro kostet, der auch eingezogen wird, wird's deutlich. Wenn ArbeitgeberInnen die Leute ungeimpft nicht mehr reinlassen, weil das Risiko für alle anderen untragbar wird, wird es deutlich."

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