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Chatbots im Kundenservice als Therapeuten

10.05.2019 - Chatbots im Kundenservice sind keine Neuheit. Viele Unternehmen setzen die digitalen Helfer inzwischen ein. Über die Auswirkungen der Bots auf die menschliche Psyche wurde bisher allerdings nur recht einseitig gesprochen.

von Susan Rönisch

Positive Erwähnungen von Chatbots im Kundenservice sprechen von einem geringeren Personalaufwand und einer automatisierten 24/7-Verfügbarkeit. Negative von unzureichenden Algorithmen und einer suboptimalen User Experience. Was im Kundenservice aber eigentlich die größte Rolle spielt, erklärt Björn Bauer , Manager Solutions Consulting EMEA bei Zendesk   : Genau, Emotionen. Das hat vor allem zwei Ursachen: Zum einen melden sich die meisten Menschen beim Kundenservice eines Unternehmens vor allem dann, wenn sie Probleme haben. Wut, Trauer und Enttäuschung können somit bei jedem Kontakt mitschwingen. Diese Emotionen sind allerdings längst nicht nur den konkreten Problemen mit dem Produkt oder der Dienstleitung eines Unternehmens geschuldet. Sehr oft summieren sich die unterschiedlichen Erlebnisse des Tages oder der letzten Wochen und der eigentliche Grund für die Kontaktaufnahme zum Kundenservice ist bloß der berühmte letzte Tropfen auf das Fass. Dass es dann häufig zu Gefühlsausbrüchen kommt, ist wiederum der zweiten Ursache geschuldet: Wir sind Menschen - und Menschen sind emotional. Die einen kehren es mehr nach außen, die anderen weniger, aber völlig emotionslos ist niemand. Wir schaffen es nicht immer, Erlebnisse, Erfahrungen und Situationen emotional voneinander zu trennen. Wenn wir in letzter Zeit ohnehin schon viele Rückschläge einstecken mussten, eine Krankheit vielleicht oder finanzielle Sorgen, dann lassen wir den dadurch aufgebauten Frust, die Trauer oder die Unzufriedenheit gerne hinaus. Und dann ist manchmal das mangelhafte Produkt eines Unternehmens Anlass genug, um den Frust genau am Kundenservice-Mitarbeiter abzulassen. Chatbots können in solchen Situationen genau der richtige Ansprechpartner für Kunden sein.

Sehen wir uns die Funktionsweise der Bots einmal genau an, können wir feststellen, dass sie - manchmal sogar besser als ein Mensch - beruhigend und nahezu therapeutisch wirken können. Sie tragen dann dazu bei, dem Kunden ein Wohlgefühl zurückzugeben und das Unternehmen in guter Erinnerung zu behalten. Wie kann das aussehen?

Zeit spielt keine Rolle

Als erstes drängt sich einem der Faktor Zeit auf. "Zeit ist Geld" - so sagt man. Das bedeutet im Kundenservice, dass Mitarbeiter möglichst schnell Probleme lösen sollen, um im Anschluss sofort wieder dem nächsten Kunden zur Verfügung zu stehen. Sie werden gemessen an Größen wie der First Resolution Time, die angibt, wie lange ein Mitarbeiter benötigt hat, um eine Anfrage zur Zufriedenheit des Kunden zu bearbeiten. Das kann Druck aufbauen und manche Menschen dazu verleiten, eine schnelle Abarbeitung vor die passende, sensible Kommunikation mit dem Kunden zu stellen. Die halbe Lebensgeschichte des Kunden noch anhören und sich ausführlich erklären lassen, welches Problem ihm zu schaffen macht und wie es eigentlich zu alldem kam? Bloß nicht! Dafür ist keine Zeit. Ein Bot wiederum kennt keine Zeit. Seine Aufgabe ist es, das Geschriebene des Kunden zu analysieren und ihm so gut wie möglich Antworten zu liefern. Wenn der Kunde beschließt, einen Roman zu verfassen und diesen an den Chatbot zu schicken, stört ihn das nicht. Er bleibt "ruhig", liest sich den Text durch und antwortet darauf. Das macht er so lange, bis der Kunde nicht mehr schreibt, und wenn es den ganzen Tag dauert. Besonders heutzutage, während wir unter Dauerstress stehen und nur noch von einem Termin zum nächsten hetzen, ist diese digitale Geduld ein Geschenk. Der Wunsch nach Entschleunigung und mehr Achtsamkeit im Alltag - man könnte fast sagen, der Bot erfüllt ihn.

Ein Bot kann sich vierteilen

Einer der Gründe, wieso ein Bot derart tiefenentspannt und ohne Zeitdruck daherkommt, ist seine Skalierbarkeit. Er kann sich nicht nur vierteilen, sondern sich theoretisch in hunderte Stücke zerlegen. Der Algorithmus kann zur gleichen Zeit parallel verschiedene Anfragen mit der gleichen Aufmerksamkeit bearbeiten. Natürlich können auch Menschen gleichzeitig mit mehreren Kunden einen Chat führen. Doch gibt es nicht wenige Untersuchungen, die zeigen, dass wir Menschen eben nicht wirklich zum Multitasking fähig sind - egal ob Mann oder Frau. Wenn wir parallel mehrere Dinge erledigen, dann machen wir im Grunde jede Aufgabe mit einer verringerten Konzentration. Unsere 100 Prozent verteilen sich dann auf alles, was wir gerade so bearbeiten. In manchen Fällen ist das nicht weiter schlimm, schließlich ist nicht jede Aufgabe gleich komplex und kann durchaus auch mit weniger Konzentration gut erledigt werden. Die zwischenmenschliche Interaktion ist jedoch durchaus etwas, das unsere volle Aufmerksamkeit erfordert. Andernfalls schlüpfen uns Details durch die Maschen oder wir reagieren knapper und womöglich auch unfreundlicher, als wir es eigentlich vorgesehen hatten, da wir nebenher noch mit weiteren Gesprächen jonglieren. Das alles ist dem Bot vollkommen fremd. Er ist der ultimative Multitasker und hält für Alle jederzeit das gleiche Maß an Fürsorge bereit.

Völlig ohne Wertung

Als weiteren Pluspunkt haben Chatbots noch einen ganz erheblichen Vorteil gegenüber Menschen, selbst gegenüber echten Therapeuten: Sie (ver-)urteilen nicht. Ihre Programmierung lässt es nicht zu. Kunden können dem Bot im Grunde alles erzählen. Egal in welcher Tonlage, mit welchen Tippfehlern oder wie detailliert, dem Chatbot ist es gleich. Menschen urteilen im Grunde immer, ob bewusst oder unbewusst. Das liegt in unserer Natur, da wir, ganz platt formuliert, ein Gegenüber als Freund oder Feind einschätzen wollen. Ein Bot hat keine Freunde und auch keine Feinde. Lassen wir an der Stelle mal schlecht programmierte, lernfähige Algorithmen wie den Microsoft Bot Tay außen vor, der sich mit rassistischen und sexistischen Sprüchen ins Aus schoss. Von vermeidbaren Programmierfehlern abgesehen, ist ein Bot also eine wunderbare, neutrale "Person", der ich mein Anliegen vortragen kann, ohne Angst haben zu müssen, als dumm, albern oder irrelevant wahrgenommen zu werden. Der Bot schenkt jeder Anfrage die gleiche, wertfreie und geduldige Aufmerksamkeit. Damit können sich Kunden viel entspannter und ohne Angst vor einer Beurteilung an Unternehmen wenden.

Obwohl der Bot also selbst keine Emotionen empfindet, kann er doch beim Menschen welche auslösen und vermittelt als neutraler Ansprechpartner Verständnis, Offenheit und den Wunsch zu Helfen. Man könnte fast von therapeutisch sprechen. Unternehmen können davon genauso profitieren, wie deren Kunden.

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