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Handel

Sharing Economy: Neue Chancen für Online-Händler und solche, die es werden wollen

Grover nutzt MediaMarkt als Leih-Vertrieb - aber viele Sharing Economy-Firmen haben zu wenig  Angebote vor Ort (Bild: Media-Markt)
Grover nutzt MediaMarkt als Leih-Vertrieb - aber viele Sharing Economy-Firmen haben zu wenig Angebote vor Ort

25.05.2023 - Viele Anbieter der Teilhabewirtschaft können die Nachfrage nicht befriedigen, weil sie unter einem Mangel an privaten VermieterInnen leiden: die Chance für professionelle Händler, um Zusatzumsätze durchs Leihen zu erzielen.

von Christian Gehl

Das Internet hat schon zahlreiche Menschheitsträume verwirklicht - etwa das gesamte Wissen für alle verfügbar zu halten, jederzeit und überall. Die Bibliothek von Alexandria ist dagegen nur ein alter Witz. Produkte aller Kategorien, physische wie digitale, vom exotischen Gewürz bis zu den Volksmusikanten um die Ecke, sind nichts als einen Mausklick entfernt. Und mit der Ankunft von Airbnb   und Uber   schien schon eine weitere Utopie schnell wahr zu werden: ungenutzte Ressourcen der PrivatverbraucherInnen zum Wohle der Mitmenschen zu kapitalisieren.

Ein zweites Wirtschaftssystem stand plötzlich im Raum. Die Sharing Economy sollte Menschen ganz unmittelbar zu HandelspartnerInnen werden und Unternehmen nur mehr als Vermittler via Internet agieren lassen. Mit Ebay   funktionierte das Peer-to-Peer System im Bereich Kaufen schon lange vor der Teilhabewirtschaft, aber ein großer Bereich war und ist dort davon ausgeschlossen: das Mieten von sperrigen, teuren Geräten, die selten, sporadisch, kurzfristig oder sogar nur ein einziges Mal gebraucht werden. Das Kayak für die Rafting-Tour, die Sound-Anlage für die Gartenparty, die professionelle Kamera-Ausrüstung für den Finnland-Urlaub - warum kaufen, wenn die Sachen bei der NachbarIn in einem Kilometer Entfernung meist ungenutzt rumliegen.

Neustart nach Corona

Eine Idee, die bisher an Corona ebenso wie an technischen Unzulänglichkeiten abprallte. Otto   und Tchibo   haben sich vor einigen Jahren daran versucht und nach kurzer Zeit aufgegeben. Die Zeit sei noch nicht reif, hieß es damals. Vielleicht hat aber auch die Produktpalette nicht gestimmt. Kinderkleidung und schwere Möbel oder Waschmaschinen wollen die Menschen offenbar doch lieber in neu haben statt gebraucht.

Jan Seeberg, Sales Lead bei Fainin (Bild: Fainin)
Jan Seeberg, Sales Lead bei Fainin


Inzwischen hat sich eine ganze Reihe junger Unternehmen das Geschäftsmodell Miet-Commerce zu eigen gemacht und profitiert dabei von einer ausgereiften Technik, die das Leihen von Privatpersonen so leicht macht wie das Kaufen auf ebay. Fainin   zum Beispiel setzt das gleichnamige, während der Pandemie gescheiterte Unternehmen (die Sharing Economy basiert ja auf dem Besuch fremder Wohnungen) in anderer Besetzung fort und will sein Angebot von Stadt zu Stadt ausbauen. Derzeit sind die Hamburger vor allem in ihrer Heimatstadt und in Berlin aktiv, bieten dort Event-Technik, Camping-Ausrüstung, Kameras und Zubehör, Spielkonsolen und Werkzeuge an.

"Seit dem Neustart von Fainin im vergangenen Sommer sind wir exponentiell gewachsen. Derzeit haben wir 8000 angemeldete NutzerInnen, die von privat zu privat verleihen und ausleihen, dazu etwa 100 Geschäftskunden", sagt Jan Seeberg , Sales Lead bei Fainin. Dass die JungunternehmerInnen es langsam angehen lassen, hat einen guten Grund: In jeder Ortschaft fünf Produkte anzubieten, macht in der Mietwirtschaft keinen Sinn. "Um immer genügend Produkte in nächster Nähe zu haben, wollen wir das Angebot sukzessive ausbauen", so Seeberg. "Denn niemand fährt 50 Kilometer, um sich etwas auszuleihen und es dann wieder zurückzubringen."

Es ist einer der großen Stolpersteine der Sharing Economy: Um etwas zu leihen, müssen die Vermieter so nah wie möglich an der eigenen Adresse wohnen, idealerweise noch im selben Postleitzahlengebiet, spätestens aber in benachbarten. Seeberg will deshalb die Zahl der professionellen Anbieter in lokalen Märkten stark vergrößern: mehr Auswahl und eine hohe Dichte der Abholadressen sind für ihn das A und O. Zu viele MieterInnen und zu wenig Anbieter dagegen der Tod des Geschäfts. Dem gleichnamigen Vorgänger ist - neben Corona - genau das passiert. Zudem sei Fainin jetzt auch technisch besser gewappnet und könne seinen UserInnen auf beiden Seiten des Leihgeschäfts ein Einkaufserlebnis ohne Hürden anbieten: "Im Unterschied etwa zu ebay Kleinanzeigen   , wo es auch einen großen Leihmarkt gibt, sind bei uns Rechnungen und Mietverträge automatisiert. Alle Produkte sind bis zu 15.000 Euro versichert und alle User sind ausweisverifiziert." Ist die kritische Masse an Angeboten erreicht, soll es von Fainin auch Werbung geben. Vorher wäre die Gefahr viel zu groß, heißt es, potentielle UserInnen durch fehlende Angebote in ihrer Nähe zu frustrieren.

Carsharing und Mikromobilität als Vorreiter

Größter Wettbewerber von Fainin in Deutschland ist die Mietplattform Erento   , deren Sharing-Ansatz jedoch deutlich schmäler ausfällt. Das Berliner Unternehmen sammelt bereits seit 2003 die Angebote gewerblicher Vermieter auf seiner Plattform ein, ist also eigentlich eher so etwas wie eine Preisvergleichsseite, denn abgewickelt werden die Transfers häufig über die Vermietfirma. Erento fungiert dabei nur als Vermittler.

Dass der private Leihmarkt funktionieren kann, zeigen die beiden Peer-to-Peer-Leihwagenvermittler Gomore   und Getaround   in zahlreichen europäischen Städten, auch in Deutschland. Millionen von Menschen teilen darüber bereits ihre Autos mit FührerscheinbesitzerInnen aus der Nähe, allein in Dänemark sind es eine Million bei einer Bevölkerungszahl von knapp 6 Millionen Menschen. Zuletzt startete der Kopenhagener Dienst Gomore in Österreich und der Schweiz, will europaweit expandieren. Der kalifornische Konkurrent Getaround ist bereits in Deutschland aktiv. Ein kurzer Check auf der Plattform zeigt eine hohe Verfügbarkeit von Leihautos zumindest in größeren Städten. Technologisch setzt sich die schlüssellose Ortung und Übergabe per App und Telematikboxen durch. Die Fahrzeuge sind für alle Teilnehmenden versichert. "Wir besitzen viel zu viele Autos, und wir nutzen sie sehr schlecht", meint Matias Møl Dalsgaard , CEO von Gomore. "Aber durch das Teilen von Autos müssen weniger Menschen eines besitzen, was Platz für mehr Leben schafft - und weniger Platz für ungenutzte Autos."

Freefloating setzt sich als Geschäftsmodell der neuen Mobilität durch

Peer-to-Peer ist nicht das einzige Carsharing-Modell. Teilen wollen auch professionelle Flottenvermieter ihre Autos. Ihr Geschäftsmodell: Freefloating, ein starkes Konkurrenzangebot zur Abholung bei Privat. Dank App-Ortung können die Autos von Sharenow   und Miles   überall abgestellt und dort auch wieder gestartet werden. Kein Filialbesuch, keine Papierübergabe - alles funktioniert online. Die App dient dazu, das Fahrzeug zu öffnen und zu schließen. Sharenow gehört der Stellantis   -Holding und soll bis 2030 auf 15 Millionen KundInnen weltweit wachsen. Miles ist ein unabhängiger Anbieter aus Berlin, der seit drei Jahren schwarze Zahlen schreibt und in zehn deutschen Städten aktiv ist. 4,5 Millionen Menschen sind in Deutschland 2022 bei einem Carsharing-Dienst angemeldet gewesen, ein Plus von 32 Prozent gegenüber dem Vorjahr, zählte der Bundesverband Carsharing   .

Deutlich sichtbarer noch im Straßenverkehr sind die bunten E-Scooter und E-Bikes von Freefloating-Anbietern wie Lime   , Voi   oder Tier   . Aber tragen sie mit verstopften Gehwegen und dem zusätzlichen Unfallrisiko nicht eher zu dem endgültigen Verkehrskollaps der Städte bei, statt es zu verhindern? Alexander Jung , Senior Director Public Policy bei dem Anbieter Lime und Vorstandsmitglied der Plattform Shared Mobility   , widerspricht vehement: "Mit den chinesischen Fahrradanbietern startete die geteilte Mikromobilität vor einigen Jahren etwas kopflos, aber das hat sich inzwischen geändert. E-Scooter und E-Bikes sind inzwischen eine breit akzeptierte Transportvariante in sehr vielen deutschen Städten." Tatsächlich gehören die Fahrzeuge dort inzwischen zum Straßenbild, mit am meisten in Berlin und München, fügen sich dort meist nahtlos in den Fußgänger- und Fahrradverkehr ein (bei zuletzt stark gestiegenen Unfallzahlen) und finden sich meist sorgfältig an Straßenecken und Gehsteigen abgestellt. Jung ist sicher: "Die Entwicklung der letzten zwölf Monate zeigt, dass an Mikromobilität kein Weg mehr vorbei führt. Viele Städte bauen ihre Verkehrsinfrastruktur zugunsten der neuen Mobilitätsanbieter um und weisen E-Scootern wie E-Bikes eigene Stellflächen zu. Zu Lasten der Autos, klar, aber wenn wir die Mobilitätswende schaffen wollen, ist dies unabdingbar."

Erst 10 Prozent Marktdurchdringung, aber 44 Prozent InteressentInnen

E-Scooter und E-Bikes werden vor allem für kurze Strecken bis zu 2,5 Kilometer genutzt, was bei einer Batterieladung von etwa 40 Kilometern für etwa 15 Fahrten reicht, bevor sie von sogenannten Juicern zum Aufladen über Nacht eingesammelt und am nächsten Morgen verteilt werden. Die Lebenserwartung von E-Scootern und E-Bikes im Sharing-Modus beträgt heute fünf Jahre, im Vergleich zu drei Monaten vor Corona. "In zehn Jahren wird geteilte Mikromobilität vollständig mit dem ÖPNV verschmolzen sein", glaubt Jung. "Berlin macht mit der Jelbi App gerade vor, wie das funktionieren kann." Die Zahlen, die von der Interessenvertretung Shared Mobility bekannt gegeben werden, sind vielversprechend. Organisiert sind hierüber die Anbieter Lime, Bolt   und Voi. Deren EScooter-Zahl ist innerhalb von einem Jahr auf deutschlandweit um 37 Prozent auf 147.000 Fahrzeuge in 2022 gewachsen, bei einem Zuwachs an NutzerInnen von 50 Prozent auf derzeit 1,4 Millionen. Einer aktuellen Fraunhofer-Studie   im Auftrag von Lime zufolge führen vor allem geteilte E-Scooter zu einer deutlichen Verringerung des CO2-Ausstoßes in den untersuchten Städten.


Die Sharing Economy trifft auf NutzerInnen, die durch Amazon   , Ebay, Youtube   , Spotify   und die App-Ökonomie sozialisiert sind: Schnelle Verfügbarkeit der angebotenen Dienste und die einfache Online-Handhabung der Bestellprozesse sind daher die Schlüsselfaktoren für ihren weiteren Erfolg und den Durchbruch in den Mainstream. Denn allen Wachstumszahlen in jüngster Zeit zum Trotz: Dort angekommen ist die Teilhabewirtschaft noch nicht. Einer aktuellen Studie   der Vergleichsplattform Capterra   zufolge nutzen nur zehn Prozent der Befragten Dienste der Sharing Economy und 43 Prozent haben keine Ahnung, was das überhaupt sein soll. In anderen Ländern ist die Nutzung dagegen schon viel weiter verbreitet. So liegt Großbritannien bei 30 Prozent, Frankreich bei 15 Prozent, Australien gar bei 38 Prozent. Aber: 44 Prozent der von Capterra befragten Menschen (1.004 Deutsche im September 2022) sind daran interessiert. Der Betriebstextilienvermieter Mewa   hat in einer früheren Umfrage   (November/Dezember 2021) bereits herausgefunden, dass jeder zweite Befragte das Ausleihen von Produkten in seine Überlegungen miteinbezieht.

Michael Cassau, CEO von Grover (Bild: Grover)
Michael Cassau, CEO von Grover


Michael Cassau , CEO des Berliner Hightech-Verleihers und Einhorns Grover   (weltweit 2,6 Millionen KundInnen), sieht die Akzeptanz von Mietdiensten denn auch stetig weiter steigen: "Hierzulande findet bereits seit einigen Jahren ein Umdenken statt, nicht zuletzt dank erfolgreicher Branchengrößen wie Netflix und Spotify. Die Generation Z und nachfolgende Generationen werden das Thema Sharing Economy weiter vorantreiben. Das liegt vor allem daran, dass die jüngeren Generationen mit dem Prinzip 'access over ownership' bereits aufgewachsen und bestens vertraut sind und es nicht wie ältere Generationen erst neu kennenlernen müssen."


Die wachsende Akzeptanz der Teilhabewirtschaft bringt inzwischen selbst kleinen Nischenanbietern wie dem Gebraucht-Lego-Vermieter Bauduu   oder dem idealistischen Verleiher Freie Lastenradl   , der seine Dreiräder kostenlos auf Zeit abgibt, reichlich Traffic und Mitglieder, aber auch größeren wie Emmy   , der seine Elektroroller in Berlin, München und Hamburg nach dem Freefloating-Prinzip vermietet oder der Radlabo-Dienst Swapfiets   . Und mit Software-Anbietern wie Circuly   , Sharetribe   oder Rheaply   ernährt die Branche längst auch schon ihre eigenen Dienstleister.

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