Konsumflaute

Handelsmarketing im Zeichen der Krise

28.11.2023 - VerbraucherInnen ächzen unter steigenden Preisen, im Handel bricht der Umsatz weg: Im Retail stehen die Zeichen auf Krise. Welche Optionen bieten sich im Marketing in dieser Lage? ONEtoONE hat führende ExpertInnen befragt.

von Dominik Grollmann

ONEtoONE 6/2023 - Handelsmarketing im Fokus

Als Marketer muss man am Puls der Zeit sein - weshalb turbulente Zeiten immer eine besondere Herausforderung sind. Insbesondere, wenn es so wie derzeit Schlag auf Schlag geht: Corona-Pandemie, Homeoffice, Shutdown, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation - und nun auch noch eine ausgewachsene Konjunkturkrise. Für die meisten KonsumentInnen bedeutet das vor allem: Unsicherheit. Und daraus resultierend: Kaufzurückhaltung.

Marketing-Strategien unter Sparzwang


Das bedeutet: Die Kaufgewohnheiten ändern sich, Verbraucher­Innen werden preisbewusster, konzentrieren sich auf das Wesentliche und stellen sogar ihre Markentreue den Prüfstand. Da das verfügbare Einkommen schrumpft und die Arbeitsplätze unsicher werden, sind sie deutlich zurückhaltender, wenn es darum geht, ihr hart verdientes Geld auszugeben.

Fatalerweise sind die VerbraucherInnen mit diesem Verhalten nicht allein: Denn auch die Unternehmen sind gezwungen zu sparen - und Marketingbudgets gehören traditionell zu den ersten Bereichen, die auf den Prüfstand gestellt werden.

Aber ist das immer die richtige Strategie? Marketer müssen zunächst ihre KundInnen verstehen, um dann ihre Strategie darauf abzustimmen. "Die anhaltende Inflation und die daraus resultierenden Preissteigerungen zwingen viele VerbraucherInnen, konsequent zu sparen", fasst Maximilian Balbach, Co-CEO der Selbstbuchungsplattform Crossvertise   die Lage zusammen. "Daher sollten Unternehmen die Positionierung und Preisgestaltung ihrer Marken grundlegend überdenken." Es kann sich lohnen Basic- und Discount-Marken mit Preisabschlag zu stärken, um so gegenüber Standard- oder Premium-Marken sogar eine Umsatzsteigerung zu erzielen. Allerdings sollte man sorgfältig darauf achten, mit dieser Strategie nicht langfristig die Premium-Marke zu schwächen. "Entscheidend ist, die richtige Differenzierung für beide Segmente zu finden." Balbachs Rat: auf Schnickschnack verzichten.

Sind die VerbraucherInnen klamm, lassen sie sich natürlich leicht mit verschärfter Rabatt- und Angebotspreiskommunikation in den Laden locken. Das weiß jeder Händler und viele haben entsprechend reagiert. "Doch das Setzen von Kaufanreizen vornehmlich über den Preis birgt auch Risiken, insbesondere für die Hersteller von Markenprodukten und die Vollsortimenter", warnt Marc-Etienne Geser, Geschäftsführer der Marketing-Lösung Marktguru   . "Neben margenpulverisierenden 'Treppeneffekten' wird Handelswerbung dadurch auch immer austauschbarer und die Profile der Händlermarken verlieren zunehmend an Schärfe."

Mühsam erarbeitete Differenzierungsmerkmale wie ein hochwertiges Einkaufserlebnis, die Beratungs- und Servicequalität des Verkaufspersonals oder Mehrwertsortimente drohen auf der Strecke zu bleiben. "Als Konsequenz droht ein Anstieg des 'Shopping Around' und damit einhergehend eine sinkende Loyalität für den Händler."

Preisanreize senken die Kunden-Loyalität


Deswegen sollten Marketer immer bedenken, dass auch die gegenteilige Strategie eine Berechtigung hat. "Gerade, wenn die Kauflaune sinkt, gilt es, antizyklisch zu handeln", rät etwa Ana Milevskaja, Interim Chief Marketing Officer der Product-to-Consumer-Plattform Productsup   . "Das bedeutet, in Zeiten geringeren Aufkommens kanalübergreifend Werbung zu schalten und potenzielle KäuferInnen durch Transparenz und ansprechende Inhalte zu überzeugen". Allerdings ist es dabei essentiell, Zugang zu Leistungsdaten zu haben und Kampagnen datenbasiert steuern zu können, um das Budget effektiv einzusetzen.

Mit dieser Strategie konnte Modehändler Peek & Cloppenburg   beispielsweise einen höheren ROI in seiner Werbung erzielen, indem einzelne Produktdatenquellen zusammengeführt und dieses Wissen genutzt wurde, um leistungsschwache und unrentable Produkte aus den Feeds auszuschließen und die Konversionsraten zu erhöhen.

"Marken, die jetzt in Neukunden­gewinnung investieren, gehen gestärkt aus der Konsumflaute hervor." (Bild: Criteo)
"Marken, die jetzt in Neukunden­gewinnung investieren, gehen gestärkt aus der Konsumflaute hervor."

Auch Marc Fischli, Marketing-Mann bei Criteo   , rät dazu, derzeit den ROI genau im Blick zu haben - nicht um zu sparen, sondern um zu profitieren: "Schließlich bietet eine allgemeine Werbezurückhaltung die Chance, unter anderem auch auf Grund oftmals günstigerer Werbeinventare, genau jetzt mit dem gleichen Budget eine größere Wirkung zu erreichen." In der Praxis bedeutet das, dass sich jetzt Kampagnenziele lohnen, die in der Vergangenheit wegen der hohen Mediapreise unrentabel waren. Er meint damit etwa Kundenbindungsprogramme, die sich nicht sofort auszahlen, aber langfristig wirken. "Marken, die genau jetzt in Neukundengewinnung investieren, können gestärkt aus der aktuellen Konsumflaute hervorgehen."

Antizyklisches Verhalten ist in vielen Unternehmen nur schwer durchzusetzen - selbst wenn die finanziellen Reserven vorhanden sind. Schließlich sind die Unsicherheiten nicht nur bei den VerbraucherInnen groß, sondern auch bei Unternehmen. Wer will da schon Geld ausgeben? Allerdings geht es nicht nur darum, die Chancen antizyklischer Werbung wahrzunehmen, sondern auch darum, rechtzeitig an Bord zu sein, wenn das Boot wieder Fahrt aufnimmt. "Strategisch gesehen haben sich die Unternehmen in den letzten 18 Monaten hauptsächlich auf die Generierung von Nachfrage konzentriert", meint Shafqat Islam, Chief Marketing Officer der Digital User Experience-Plattform Optimizely     . "Jetzt müssen sie darüber nachdenken, wie sie den Hebel wieder in Richtung Markeninvestitionen umlegen können, um die Markenbekanntheit zu steigern und die Markenwahrnehmung zu kultivieren. Das ist in letzter Zeit etwas in den Hintergrund getreten, aber es wird Zeit, dass sich das ändert."

"Der Fokus auf Performance sorgt für weniger Prospects." (Bild: GroupM Germany)
"Der Fokus auf Performance sorgt für weniger Prospects."

Fabian Kietzmann, Chief Products & Services Officer des Mediaagenturnetzwerkes GroupM Germany   , kennt diese Gemengenlage nur allzugut. "Die deutsche Wirtschaft ist rückläufig und diverse Branchen haben mit erhöhtem Wettbewerbsdruck und steigenden Kosten zu kämpfen. Dadurch liegt ein starker Fokus auf Effizienzprogrammen. Daher die Steigerung der Mediaeffizienz sowie ein stärkerer Shift zu Maßnahmen mit direkter Abverkaufswirkung (Performance)", beobachtet er. Und warnt: "Aus strategischer Sicht führt der starke Fokus auf Performancemaßnahmen zu immer weniger Prospects, da die gesamte Kategorie auf Inmarket-Zielgruppen abzielt. Daher werden die integrierte Planung und Optimierung von Branding-Maßnahmen und Performance in den nächsten zwölf Monaten wieder an Bedeutung gewinnen."

Neben der (Gegen-)Bewegung hin zu mehr markenorientierter Werbung erwartet der GroupM-Experte aber auch, dass die Unternehmen noch eine ganze Weile genau auf Geld sehen werden. "Gleichzeitig verzeichnen wir aber auch einen stärkeren Shift zur Automatisierung im gesamten Marketing-Workflow beispielsweise durch Einsatz von integrierten Workflowtools."

Kreative Ideen für schwere Zeiten


Es muss ohnehin nicht immer nur das Marketing sein, woran ein Händler sparen kann. Kreative Ideen können am gesamten Geschäftsmodell ansetzen. Klug ist, wenn sich dadurch die User Experience nicht verschlechtert. "Seit letztem Jahr dürfen Händler die Rücksendekosten für Retouren den KundInnen auferlegen. Das tun jetzt auch immer mehr Onlinehändler, für die Retouren ein großes Problem darstellen", meint Crossvertise-Chef Balbach etwa. "Viele VerbraucherInnen sind aber noch nicht richtig darauf eingestellt und von den sehr kulanten Regelungen von Amazon und Zalando 'versaut'." Für die Händler ist es daher schwierig, die richtige Balance zwischen kundenfreundlichem Verhalten und Conversion sowie Kostenreduktion und Nachhaltigkeit zu finden. Balbachs Rat: "Retouren in begrenztem Rahmen - zum Beispiel einmal pro Halbjahr - weiter kostenlos halten, wenn der Margenrahmen es erlaubt, oder mit Gutscheinen oder Gutschriften für nicht-retournierte Aufträge Anreize setzen statt zu bestrafen." Dies ist vor allem bei Waren, die anprobiert werden müssen, wichtig. Andere Branchen können strikter agieren.

Genauso wichtig ist es, die User Experience weiterzuentwi­ckeln und für kommende Generationen und neue Konsumgewohnheiten anzupassen. Bernd Vermaaten, Geschäftsführer des ECommerce-Adtech-Anbieters Solute GmbH   , warnt daher bestimmte Themen hinten anzustellen, nur weil sie im ersten Moment nicht geschäftskritisch wirken. "Bereits heute unterziehen KundInnen ihre Kaufentscheidungen einer spezifischen Nachhaltigkeitsbewertung. Das setzt sich unserer Meinung nach fort", erklärte der ECommerce-Experte. "Die Generation Z stellt die Kaufkraft von morgen dar. Sie fordert Nachhaltigkeit, aber auch Gamification und neigt daher auch dazu, Trends, die etwa auf TikTok entstehen, in Spontankäufe zu verwandeln." Für Marken und Händler gilt es, sich darauf einzustellen. Unsere Prognose: Die Generation Z und erst recht die Generation Alpha werden diesen Trend weiter forcieren. Vorläufer davon finden sich heute bereits im Re-Commerce, der etwa in Form von Secondhand vor allem beim Kauf von Markenprodukten längst wieder salonfähig geworden ist. In diesem Zusammenhang wird auch die Reparierfähigkeit von Produkten an Bedeutung gewinnen.

"Wer effektiver wirbt, tut auch etwas für die Umwelt." (Bild: Teads)
"Wer effektiver wirbt, tut auch etwas für die Umwelt."

Welche KPIs nun wichtiger werden


Immerhin können Sparzwang und Ökobewusstsein beim Thema Nachhaltigkeit zusammenwachsen, findet Christian Zimmer, Geschäftsführer des deutschen Ablegers der Mediaplattform Teads   . Bislang wird in der Werbung zwar viel über Öko-Produkte geredet - die Werbung selbst stellt sich der Herausforderung jedoch kaum. "Da eine Million Ad-Impression in etwa einer Tonne CO2-Emissionen entspricht, sind Marketer in der Verantwortung nachhaltigere Werbepraktiken voranzutreiben", forderte Zimmer. Wer effektiver wirbt, spart also nicht nur Kosten, sondern tut auch etwas für die Umwelt. "Marketing-KPIs müssen sich weg von reinen Viewability-Metriken hin zu Aufmerksamkeit als zentralem Erfolgsindikator entwickeln. Schon viel zu lange ist Viewability das Hauptkriterium für die Bewertung der Qualität von Impressions; Studien zeigen, dass Aufmerksamkeit dreimal besser als Viewability geeignet ist, um Ergebnisse vorherzusagen." Wäre Aufmerksamkeit der Schlüsselindikator für Planung, Einkauf und Messung von Werbung, würde dies nebenbei auch automatisch zu kreativeren, zielgerichteteren und wirksameren Werbekampagnen führen, meint der Teads-Chef.

Krise hin oder her: Manche Dinge ändern sich nicht. Zum Beispiel, dass KundInnen bestimmte Marken und Händler lieben und immer auf der Suche nach dem perfekten Einkaufserlebnis sind. So mag es zwar für einen Anbieter hochpreisiger Lifestyle-Artikel derzeit wenig lohnend sein, in Abverkaufswerbung zu investieren. Wer sein Geld jetzt aber in Usability, Markenaufbau und Kundenbindung steckt, kann die Früchte ernten, wenn die Verbraucherstimmung wieder ansteigt.

"Langfristig richtet sich der gesamte Marketing-Prozess noch viel stärker an den KundInnen aus. Ihm soll das Einkaufen so einfach wie möglich gemacht werden. Stichwort: Convenience", sagt Solute-Chef Vermaaten. "Dabei gilt es, die scheinbar letzte Hürde zu nehmen und die Grenzen zwischen Offline- und Online-Handel vollends verschwinden zu lassen. Dazu müssen sich beide Bereiche allerdings neu erfinden, um sich schließlich durch die vollständige Integration in Hybrid Commerce zu verwandeln, der sich durch die perfekte, nahtlose Customer Journey auszeichnet."

Im Kern heißt dass, das Unternehmen auf keinen Fall versäumen sollten, an einer Optimierung der Kundenloyalität zu arbeiten. Das kann nur gelingen, wenn neben dem Umsatz auch andere Indikatoren in den Mittelpunkt rücken. "Aktuell ist das Interesse der Unternehmen größer denn je, ihre KundInnen kennenzulernen und Informationen zu ihnen zu sammeln, um sie in Zukunft noch zielgerichteter und gemäß ihren Interessen und Vorlieben ansprechen zu können", hat Babara Stadler, Head of Business Development der Digital-Agentur Recordbay   , beobachtet. "Maßnahmen dazu sind beispielsweise phygital Experiences, also die Verbindung von physischen und digitalen Erlebnissen oder die Erweiterung von stationären Experiences um digitale Inhalte." So lassen sich beispielsweise digitale Zwillinge von Stores und Showrooms bauen, um KundInnen überall zu erreichen und die Produkterlebnisse zu vertiefen.

Zunächst ist aber wichtig, die eigene Zielgruppe überhaupt mit solchen Angeboten zu erreichen. "In Anbetracht der zunehmenden Fragmentierung ist das eine kommunikative Omnichannel-Aufgabe, bei der die digitalen Kanäle immer wichtiger werden", bemerkt Marktguru-Chef Marc-Etienne Geser. Diesen Shift mit den KundInnen zu vollziehen, zahle sich langfristig jedoch in jedem Fall aus. Nicht nur weil die KundInnen es danken. "Digitale Kanäle wie Händler-Apps bieten wertvolle Insights in Kaufverhalten, Produkt- und Markenpräferenzen, Preissensibilitäten und ermöglichen auf dieser Basis eine hochrelevante individuelle Kundenkommunikation."

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