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Personalmarketing

"Wir brauchen kein Employer Branding"

03.03.2022 - Wie schaffen es Marketing-Verantwortliche, dass sich Menschen bei ihnen bewerben? Nicht mit klassischen Methoden, argumentiert der Personalmarketing-Guru Henner Knabenreich. Er setzt auf Blut, Schweiß und Tränen. Und auf eine geheime Zutat in der Mitarbeiterkommunikation.

von Henner Knabenreich , Joachim Graf

Die Toolliste, die Marketingverantwortliche für ihr Employer Branding einsetzen können, wird immer länger: Blockchain im Recruiting, Chatbots auf der Karriereseite. Chatbots, die mit uns sprechen. Eine auf Stimme oder geschriebenem Text basierende Eignungsdiagnostik für die HR-Abteilung. Matching-Verfahren, die die Potenziale von Kandidaten erkennen, die diese selbst bis dato gar nicht auf dem Zettel hatten. Automatisiertes Sourcing, das das mühselige individuelle Ansprechen per Knopfdruck erledigt. People-Analytics-Software, die Schlechtleister identifiziert (und diskriminiert), nutzerfreundliche Bewerbermanagementsoftware und webbasierte Lösungen, mit denen die Verantwortlichen "geschlechtergerechte" Stellenanzeigen verfassen können, Video-Bewerbungs-Tools, die die lange schon überflüssigen Anschreiben ersetzen, Jobbörsen, die die Geheimwaffe im Recruiting - Videos - als neuesten Trend ausrufen sowie natürlich lustige Videos auf TikTok (weil da kann man nämlich die Zielgruppe erreichen) und "Dream-Job-Konfiguratoren", die eine schlechte Karriere-Website bzw. Stellenanzeigen ersetzen sollen.

Wie mit den Medikamenten, so ist es auch mit Employer-Branding und HR-Tools: Sie bekämpfen das Übel nicht an der Wurzel. Und so wuchert das Übel weiter: Mangelnde Transparenz und Wertschätzung. Die (potenziellen) Marketingmitarbeitenden im Mittelpunkt? Von wegen!

Recruiting-Innovationen bekämpfen die Symptome, nicht die Ursachen

Solange sich nichts an dem grundlegenden Problem im Recruiting ändert, so werden all die vielen schönen neuen Innovationen niemals das bringen können, was möglich wäre. Denn für ein erfolgreiches Recruiting, also die Menschen dahin zu bringen (und zu halten, schließlich beginnt Mitarbeiterbindung bereits beim Recruiting!), wo sie hingehören, mangelt es an allen Ecken und Kanten insbesondere an zwei Dingen: Transparenz und Wertschätzung.

Wertschätzung äußert sich auf vielerlei Art und Weise: Primär natürlich in einer zielgruppengerechten Ansprache, also in auf die Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche der Zielgruppe zugeschnittenen Inhalten. Einerseits. Natürlich auch darin, dass man sich überhaupt Gedanken über seine Zielgruppe macht. Und nein, Berufserfahrene und Berufseinsteiger sind keine Zielgruppen. Mangelnde Wertschätzung und Transparenz begegnen uns tagtäglich in den Jobbörsen und auf den Karriere-Websites dieser Republik: Austauschbare, nichtssagende und blutleere Stellenanzeigen, wohin das Auge blickt. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen, es wird verschwiegen und geschwiegen, dass die Camorra ihre helle Freude hätte.

Wertschätzung und Transparenz sind die wahre Währung im Recruiting

Wertschätzung äußert sich aber auch darin, dass man ehrlich ist. Transparent. Und Fakten schafft. Ehrlich währt am längsten, auch im Recruiting. Leider hat man das in der aktuellen Lieblings-Disziplin der Unternehmen bis heute nicht verstanden: Employer Branding bedeutet eben nicht: Employer Blending. Employer Branding, richtig verstanden, spricht die passenden Menschen an, nicht alle. Employer Branding bedeutet Ehrlichkeit. Nicht Augenwischerei. Kennen Sie irgendeine ehrliche "Arbeitgebermarke" (mal unter uns, kennen Sie überhaupt irgendeine "Arbeitgebermarke")? Wobei, das wird ja auch gerne vergessen: Employer Branding macht jeder. Denn so, wie man "nicht nicht kommunizieren" kann, so kann man eben auch "nicht nicht Employer Branding "machen"".

Jeder Arbeitgeber sendet Signale aus

Als Marketingverantwortliche, die neue Mitarbeiter suchen, senden Sie Signale aus. Bewusste (das ist die von den meisten Unternehmen - und Employer Branding-Agenturen betriebene Schönfärberei, die Kandidaten einlullen soll und alles andere als differenzierend ist) und unbewusste (das sind die Signale, die man - möglicherweise unwillentlich - aussendet und die potenzielle Kandidaten verprellen, etwa Zwangs-Logins, umständliche Bewerbungsprozesse, nervige Chatbots, schlechte Jobsuchfunktionalitäten und vieles mehr, was sich Unternehmen eben so in Sachen Bewerbervermeidungsstrategie einfallen lassen und nicht bei ihren Employer-Branding-Aktivitäten berücksichtigen. Hauptsache, schöne heile Welt und bunte Bilder eben). Jedes einzelne dieser Signale zahlt auf Ihre Arbeitgebermarke ein. Ob Sie nun Budget für Ihre Employer Brand in die Hand nehmen, oder nicht.

Wir brauchen keine Recruiting-Innovationen - wir brauchen mehr Transparenz und Wertschätzung! Ehrlichkeit und Transparenz sorgen dafür, dass die richtigen Kandidaten anheuern und Sie die falschen abschrecken. Kennen Sie die Stellenanzeige, mit der Ernest Shackleton 1914 eine Mannschaft für seine Arktis-Expedition suchte? Ehrlicher geht es kaum:

Men wanted: For hazardous journey. Small wages, bitter cold, long months of complete darkness, constant danger, safe return dobtful. Honour and recognition in case of success.
(Sir Ernest Shackleton)

Sir Ernest Shackleton hatte gesucht auf gut Deutsch etwa: "Männer für eine riskante Reise gesucht. Niedrige Löhne, bittere Kälte, monatelang völlige Dunkelheit, ständige Gefahr, sichere Heimkehr zweifelhaft. Ehre und Anerkennung im Erfolgsfall."
Klar, besonders einladend klingt diese Stellenanzeige nicht. Zumindest nicht für die meisten von uns. Shackleton suchte aber nicht die meisten und er wollte auch nicht alle erreichen. Er wollte die, die passen. Er wollte die, die für das brannten, was da auf sie zukommen würde. Und Shackleton stellte nur die Leute ein, die glaubten, woran er glaubte. Und bekam sie. Heute in all dem Einheitsbrei, der Bewerber eher abstößt, als für sich gewinnt, würde die Anzeige wahrscheinlich folgendermaßen aussehen:

Wir sind ein weltweit erfolgreiches, von Innovation getriebenes Expeditionsschifffahrtsunternehmen. Für eine Antarktis-Expedition suchen wir

Männer (m/w/d)

Für diese spannende und herausfordernde Aufgabe bringen Sie folgende Qualifikationen mit:
  • Studium der Nautik
  • Mindestens 5 Jahre Berufserfahrung und Expertise in der Führung und Wartung von Booten
  • Erstklassige umfassende Kenntnisse in der Einholung von Großsegeln
  • Teamfähigkeit, Belastbarkeit, Flexibilität
Wir bieten Ihnen eine spannende Aufgabe in einem bunt gemischten Team, eine starke Unternehmenskultur und kostenlose Getränke.

Ihre vollständigen Bewerbungsunterlagen senden Sie unter Angabe Ihres Gehaltswunsches an...
Was glauben Sie, wie wahrscheinlich es ist, über eine solche austauschbare und inhaltsleere Stellenanzeige die Leute zu bekommen, die eine solche Antarktis-Expedition zum Erfolg führen? Eben. Wann haben wir eigentlich verlernt, ehrlich zu sein?

Alle wollen alle, keiner differenziert

Ich weiß, Sie werden jetzt sagen, dass Sie niemanden für eine Antarktis-Expedition suchen. Und dass Sie Ihre Stellenanzeigen, so, wie es viele machen, eben aus anderen zusammenkopieren. Abgesehen davon wolle man ja keine Bewerber verschrecken. Schließlich ist ja Fachkräftemangel und es bewirbt sich eh keiner. Da könne man froh sein, wenn sich überhaupt jemand bewirbt. Und die will man dann eben nicht abschrecken. Möglicherweise werden Sie aber auch mit Bewerbungen zugeschüttet, kann ja sein. Eben weil Ihre Stellenanzeigen, die Inhalte auf Karriereseiten so unspezifisch sind, so austauschbar, so nichtssagend. Weil Sie eben nicht die passenden Kandidaten anziehen, sondern irgendwie alle. Weil differenzieren und ehrlich sein - das liegt Ihnen eben nicht so. Außerdem hat Ihnen Ihre Employer-Branding-Agentur eben diesen super Claim und diese so unglaublich differenzierende EVP - Ihre "Employer Value Proposition" - entwickelt.

ONEtoONE-Autor Henner Knabenreich ist HR-Blogger auf Personalmarketing2null   , Autor, Personalmarketing-Coach, Initiator von Events wie der HR-NIGHT, Speaker sowie Berater für die Umsetzung von Karriere-Websites und bewerberzentrierten Stellenanzeigen.

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