31.05.2022 - Für Erfolg brauchen Unternehmen das Vertrauen ihrer KundInnen. Müssten Unternehmen vor diesem Hintergrund nicht möglichst explizit und systematisch an der Entwicklung von Vertrauen arbeiten? Dieser Artikel ist genau dafür ein Plädoyer. Und er erklärt, wie erfolgreiche Unternehmen auf smarte Weise echtes Vertrauen zu ihren KundInnen aufbauen.
von Dr. Eric Eller
Stellen wir uns die folgende Situation vor: Eine fremde Person steht vor Ihrer Tür und möchte bei Ihnen übernachten. Würden Sie zustimmen? Vermutlich nicht: Sie wissen nicht, ob Sie dieser Person vertrauen können. Sie könnte sich als unangenehmer Gast entpuppen. Trotzdem hat es das US-Unternehmen Airbnb geschafft, dass sich seine User in den letzten 13 Jahren mehr als 500 Millionen Mal genau dafür entschieden haben, eine fremde Person bei sich zu Hause übernachten zu lassen. Und das mit enormem Erfolg: Das Unternehmen ist mittlerweile mehr als 100 Milliarden US-Dollar wert. Dieses neue Vertrauen zwischen GastgeberInnen und Reisenden ist alles andere als zufällig entstanden. Stattdessen hat das Unternehmen gemeinsam mit der Harvard Business School akribisch untersucht, wovon das Vertrauen seiner NutzerInnen abhängt und systematisch die notwendigen Rahmenbedingungen für echtes Vertrauen hergestellt.
Vertrauen entsteht also nicht zufällig. Vielmehr ist aus jahrzehntelanger Forschung gut bekannt, unter welchen Bedingungen es wachsen kann. Schaffen Unternehmen die richtigen Voraussetzungen, können sie die Entstehung von Vertrauen wahrscheinlicher machen. Derartige Vertrauensarbeit lässt sich als Vertrauens-Architektur begreifen: Ähnlich systematisch wie ArchitektInnen etwa Brücken und Häuser planen, lässt sich auch die Entwicklung von Vertrauen angehen. Dafür braucht es sowohl psychologisches Wissen über die Determinanten von Vertrauen als auch eine sinnvolle methodische Vorgehensweise.
Wollen. Unternehmen sind dann vertrauenswürdig, wenn sie aus Sicht ihrer KundInnen das Richtige wollen, also gute Absichten haben. Aus diesem Grund kämpfen teilweise ganze Industrien mit dem Misstrauen ihrer KundInnen. So etwa die Versicherungsindustrie. Agieren Versicherungsunternehmen im Beratungsgespräch oder im Schadenfall wirklich wohlwollend und im Sinne des Versicherungsnehmers? Bereits beim Kauf einer Versicherung wird vielen KundInnen klar: Je ehrlicher ich diese Gesundheitsfragen beantworte, desto teurer wird die Versicherung. Spätestens im Schadenfall merken sie: Jeder Euro, den die Versicherung für meinen Schaden bezahlt, fehlt dem Unternehmen im Jahresgewinn. Das finanzielle Interesse von Versicherungsunternehmen ist dem ihrer KundInnen häufig genau entgegengesetzt. Deshalb sollten Unternehmen für nachhaltiges Vertrauen den Fokus ihrer unternehmerischen Arbeit aufrichtig sowie eindeutig erkennbar auf die Bedürfnisse ihrer KundInnen legen und Rahmenbedingungen schaffen, in denen ihre Interessen mit denen ihrer KundInnen harmonieren. Das macht der US-Versicherer Lemonade erfolgreich vor, dessen KundInnen im Schadenfall keinen Konflikt mit ihrem Versicherer fürchten müssen: Je weniger Schäden der Versicherer zahlen muss, desto mehr wird gespendet. Der eigene Jahresgewinn bleibt davon aber unabhängig.
Können. Gute Absichten allein reichen natürlich nicht aus: Wir wollen sichergehen, dass das Unternehmen auch liefern und sein Versprechen halten kann - und das möglichst kontinuierlich immer und immer wieder. Händler wie DM, Rossmann und Edeka schneiden deshalb typischerweise besonders gut ab, da sie mit Artikeln des täglichen Bedarfs versorgen und täglich aufs Neue beweisen können: Wir halten unser Versprechen. Unternehmen, deren Angebote seltener genutzt werden und die weniger häufig mit ihren KundInnen in Kontakt stehen, kämpfen hingegen im Vertrauensspiel mit erschwerten Bedingungen. Sie haben schlichtweg seltener die Chance, ihre Vertrauenswürdigkeit zu beweisen. Denken wir beispielsweise an Stromanbieter, die zwar täglich Strom liefern aber für ihre KundInnen nur wenige Male im Jahr wahrnehmbar in Erscheinung treten. Diese Unternehmen sollten umso akribischer daran arbeiten, die für das individuell notwendige KundInnenvertrauen notwendigen Fähigkeiten zu identifizieren, aufzubauen und möglichst schillernd in Szene zu setzen.
Einschätzen. Damit echtes Vertrauen entstehen kann, braucht es über das Wollen und Können hinaus aber eine wesentliche dritte Voraussetzung: Die Vertrauenswürdigkeit muss für KundInnen auch erkennbar werden. KundInnen müssen Unternehmen also möglichst gut einschätzen können, um ihnen zu vertrauen. Das stellt insbesondere neue und innovative Unternehmen vor Herausforderungen, bei denen KundInnen noch keine Erfahrungswerte haben. Zum Glück gibt es wirksame Strategien, mit denen auch neue Produkte zu echtem Vertrauen kommen können. Eine davon wird mit Blick auf die Elektromobilität deutlich: Ende 2020 war das in Europa meistverkaufte Elektroauto eines, das auf den ersten Blick gar nicht so neu aussieht: der VW ID.3. Es handelt sich um ein 100 % elektrisches und damit innen radikal neues Auto. Von außen aber sieht es vor allem aus wie ein seit Generationen vertrauter VW Golf. Scheinbar finden KundInnen leichter Vertrauen in eine neue Technologie, wenn zumindest deren Verpackung bereits bekannt ist. Für Unternehmen, die darauf angewiesen sind, dass ihre KundInnen etwas ganz Neues ausprobieren, kann es also eine gute Idee sein, nach Verbindungen zu bereits bestehenden Erfahrungen ihrer KundInnen zu suchen. Damit echtes Vertrauen entstehen kann, sollten Unternehmen also darauf hinarbeiten, ihren KundInnen eine möglichst einfache Einschätzung ihrer Vertrauenswürdigkeit zu ermöglichen.
ONEtoONE-Autor Dr. Eric Eller ist Sozialpsychologe und Senior Managing Consultant bei elaboratum . Sein neues Buch 'VertrauensArchitektur . Wie Vertrauen entsteht und wie Unternehmen die richtigen KundInnenerlebnisse dafür schaffen' erschien im April 2022 im Vahlen Verlag.
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