Marketing

Marketing ohne Cookies - Ein Bauplan

07.12.2020 - Der Stern des Cookies sinkt - und viele Unternehmen machen vor, wie man nicht damit umgeht. Ein Strategie-TÜV für Cookie-freie Werbestrategien: Was klappt, was muss scheitern - und wie findet man Kunden, ohne teure Datenschutzsünden zu begehen?

von Sebastian Halm

Wer auf Cookies für sein Marketing angewiesen ist, braucht spätestens jetzt eine Strategie für die Post-Cookie-Ära; wer noch keine hat, muss jetzt eine entwerfen. Doch es muss die richtige sein. Denn wie schräg man liegen kann und welches Debakel folgt, verwechselt man strategische Fehler mit einer Strategie - das hat jetzt eine große Marke gezeigt. Doch wie kommt man an die richtige Strategie?
Zunächst muss man als Marke sehen, aus welchen Richtungen Cookies unter Beschuss stehen. Es sind vor allem drei:

1. Die DSGVO:

Viele wittern Punkt zwei dieser Auflistung als Hauptfeind der Cookies. De facto ist es die DSGVO und ihr Verbot von Profilbildung sowie ihre Absage ans Basteln von Marketingstrategien anhand von persönlichen Nutzerdaten-Bruchstücken. Wenn dafür Cookies zur Verwendung kommen, greift die DSGVO.

2. Das Urteil des BGH gegen Planet 49:

Es stellt fest, brutal verknappt formuliert, dass alle Formen von Cookies grundsätzlich der aktiven Nutzerzustimmung bedürfen.

Alle Formen von Cookies brauchen generell die aktuelle Nutzer-Zustimmung.

3. Browser:

Die kassieren immer rigoroser Cookies ab Werkseinstellung. Safari und Chrome gehen (nicht nur aus uneigennützigem Interesse) immer klarer gegen 3rd- Party-Cookies vor.

In dieser Aufzählung sind die NutzerInnen nicht erwähnt, die ebenfalls keine Lust auf Werbung haben: Jeder zweite Internet-Nutzer verwendet laut dem Zukunftsforschungs- Thinktank iBusiness   einen Adblocker.

Wie aber müssen Marken, Advertiser und Agenturen nun vorgehen, wenn sie weiter so werben wollen wie vorher - nur halt ohne Cookies. Nicht alle Rezepte, die aktuell im Umlauf sind, verschreiben wirksame Medikamente, manche verschweigen die Nebenwirkungen. Hier eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für mögliche Szenarien von Post-Cookie-Geschäftsmodellen im datengesteuerten Marketing.

Der erste Checkpunkt: Berechtigtes Interesse vorhanden?

Es gibt einen spannenden Aspekt des Planet-49-Urteils gegen Cookies. Quasi für Kenner. Und der betrifft vor allem das Retargeting, das gesamte Display-Marketing und vor allem die Affiliate-Branche. Denn der BGH hat sich praktisch nicht zum Punkt des "berechtigten Interesses" geäußert. Diese Formulierung geht auf Art. 6 Abs. 1 der DSGVO zurück und wird von allen hier gerade genannten Geschäftsmodellen wie ein Schutzschild vor sich gehalten. Doch der BGH hat eben nicht gesagt, dass dieses Interesse eine Rechtfertigung ist. Das Gericht hat es nur (noch) nicht explizit abgelehnt oder ausdrücklich als Cookie-Rechtfertigung bestätigt.
Damit befindet sich jedes Geschäftsmodell, das sich auf das berechtigte Interesse beruft, nun in einem Schwebezustand. Einerseits steht damit nur eine erfolgreiche, höchstrichterlich entschiedene Klage zwischen der Existenz von Affiliate-Marketing und dessen Aus. Andrerseits wird auch kaum eine Fanpage in Deutschland juristisch haltbar betrieben, und es passiert praktisch nichts. Oder anders gesagt: Wer "berechtigstes Interesse" glaubhaft machen kann, steht immer noch auf unsicherer Grundlage.

Die Cookie-Risiko-Analyse verschiedener Geschäftsmodelle

E-Commerce: Alles, was man an Cookies für einen Kaufvertrag in einem Shop braucht (Warenkorb, Checkout), ist juristisch sicher - was darüber hinausgeht aber nicht. Was sich der/die Kunde/in angesehen hat, woher er/sie kam und wie lange sie/ er wo in meinem Shop war, bedarf der ausführlichen und dokumentierten aktiven Einwilligung. Display-Advertising: Hat sich bisher
auf berechtigtes Interesse gestützt, befindet sich aber nun im expliziten Schwebezustand.

Entscheiden sich Verbraucher zu einer Klage, die sie durch alle Instanzen führen, kann sich die Branche warm anziehen. Denn laut Martin Bahr "kann ein Netzwerk kaum nachweisen und mit berechtigtem Interesse verargumentieren, wer da alles Nutzerdaten weitergeleitet bekommt."

Wer berechtigtes Interesse nicht nachweisen kann, darf keine Cookies setzen

Affiliate: Der angeführte Status des berechtigten Interesses bleibt juristisch wackelig - aber lässt sich aufgrund des BGH-Urteils nicht klären.
Retargeting: Argumentiert ebenfalls mit berechtigtem Interesse - finaler Status aufgrund BGH-Urteil ebenfalls ungeklärt.
Tracking: Wackeliger Status, BGHUrteil ohne Beitrag zur Klärung. Das "berechtigte Interesse" kann also schnell aufs Glatteis führen. Und wer "berechtigtes Interesse" nicht glaubhaft machen kann, darf keine Cookies ohne Nutzer-Einwilligung setzen - und selbst wenn man die hat, ist man ganz schnell wieder auf dem Glatteis.

Wie es nicht geht: berechtigtes Interesse und Consent als Weg auf das Glatteis

Um das deutsche Cookie-Problem zu verstehen, muss man das TCF2 grob kapieren. So kurz wie möglich gesagt, war mit dem BGH-Urteil gegen Planet 49 klar, dass die cookiebasiert werbende Branche künftig ihr Marketing basierend auf dieser technischen Lösung, dem IAB TCF 2.0 (Transparency and Consent Framework) abzuwickeln hätte. Dieses Framework besteht unter anderem aus einem Stückchen Information, einer ID, die generiert wird und verschlüsselt den abgefragten Consent eines Nutzers beinhaltet - so können Systeme miteinander darüber kommunizieren, welche Werbung sie welchem Nutzer vorsetzen dürfen. Und ausgerechnet dieses Framework wollte das große Affiliate-Netzwerk Awin nicht unterstützen, wie es im September angekündigt hat. Damit war klar, dass Awin sein cookiefrei kaum denkbares Display-Affiliate- Business nicht mehr zukunftssicher würde abwickeln können. Kein Wunder, dass das Netzwerk zehn Tage später zurückruderte.

Dennoch hat Awins kurzer Urlaub im Zustand des Boykotts in der Branche die Frage aufgeworfen: Wieso tat Awin   das? Nach eigener Aussage begreift sich Awin als reiner Affiliate-Marketeer - deswegen will es vielleicht den Status des aus "berechtigtem Interesse" Handelnden, auf den sich Affiliates berufen, keinesfalls verlieren. TCF2 deutet aber auf weitergehende Interessen als
nur die "berechtigte" Affiliate-Attribution hin - wer TCF2 unterstützt, will eventuell Retargeting betreiben (mal als Beispiel). Awin wollte also möglicherweise das Display-Affiliate- Geschäft opfern, für das TCF2 essentiell ist, und boykottierte symbolisch den Standard, damit Datenschützer sehen konnten: "Schaut mal, Datenschützer - wir wollen nur Geschäftsmodelle mit berechtigtem Interesse betreiben, wir brauchen gar keinen Datenaustauschstandard. Also bitte seid nett zu uns!"

Was auch immer das befremdliche Manöver motiviert hatte, keine zwei Wochen später kam die 180-Grad-Wende, weil die Publisher doch die eine oder andere Frage zum Kurs von Awin aufgeworfen hätten, erklärte das Unternehmen.
Möglich, dass das Netzwerk erkannt hatte, dass es ohne seine Publisher nicht geht. Eventuell gab es auch hausintern eine Ansage, da der Axel- Springer-Konzern   selbst an der Gestaltung von TCF2 mitgewirkt hatte - wie sieht es da aus, wenn eine Tochter aus der Reihe tanzt? Was auch der Grund war: Awin war nicht in der Lage, den eigenen Kurs zu halten, und ruderte zurück.


Das Problem mit dem Consent - und wieso man trotzdem darauf setzen sollte

Auf Glatteis steht man aber auch schnell, wenn man auf das Consent- Tool setzt und die Nutzer zu den Cookies zustimmen lässt - was in etwa so viel Aufwand und noch weniger Spaß macht, als bei seinem Laptop die Energiesparoptionen zu verwalten.

Publisher versuchen nun zunehmend intensiver, vom Nutzer pauschale Zustimmungen für Seiten- Netzwerke zu erhalten: Diesen Weg geht aktuell die NetID-Stiftung, die es erlauben soll, verschiedene Online- Angebote mit denselben Login- Daten zu nutzen. Ähnliches versucht der Springer-Verlag   aktuell alleine aufzubauen. Springer besitzt viele Töchter mit auf Datenweitergabe beruhendem Geschäftsmodell und holt sich deshalb beim Betreten einer seiner Seiten beim Nutzer eine Erlaubnis für den gesamten Seitenverbund ein - der Nutzer muss dem seitenübergreifenden Erfassen und Zusammenführen seiner Daten zustimmen. Dieser sichere Boden des Zustimmungs-Ökosystems gibt aber schnell wieder nach.

Zum Beispiel immer dann, wenn Webseiten Nutzer-Daten über einen Verbund verschiedener Seiten hin erfassen: Will Springer den Nutzer tracken, der sich zwischen Bild. de und Welt.de hin- und herbewegt, braucht der Verlag die ausdrückliche Einwilligung des Nutzers für dieses "Bewegungs-Tracking".
Und wenn künftig neue Seiten und Dienste zu diesem Publishing- Verbund hinzustoßen, braucht es dafür neue explizite Einwilligungen des Nutzers, dass man auch auf diesen neuen Reichweiten tracken und erfassen darf. Aktuell versucht man bei Springer, dieses Problem durch pauschale Formeln zu lösen - der Nutzer muss anfangs der Datenweitergabe an "Töchter und Partner" zustimmen. Das ist rechtlich nicht wirksam (weil zu wenig konkret), aber besser, als ohne jede Einwilligung dazustehen.
Consent einzuholen ist technisch sauber, für den Nutzer weitgehend transparent, juristisch wacklig, aber immerhin zielgerichtet auf Zustimmung aus.

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