Wer Gemüse- und Kräutersämereien verkauft, hat einen Nachteil: Päckchen mit Blumen- und Gemüsesamen sehen nicht sexy aus, wenn sie im Briefumschlag bei der Kundschaft ankommen. Der Sinsheimer Biogärtner Simon Faubel hat jedoch einen CX-Vorteil: In Sämereien steckt jede Menge Hoffnung. Und diese verwendet Faubel zur Kommunikation mit seinen HobbygärtnerInnen.
ONEtoONE 1/2024 - Customer Experience
Der erste Eindruck: In der stabilen Versandtasche findet sich neben dem im Onlineshop bestellten Sämerei-Tütchen ein 15x11cm großer sechsseitiger Prospekt, der sich beim genaueren Hinsehen als Mehrwertlieferant entpuppt, ähnlich wie die Samenverpackung selbst.
Die Personalisierung: Man hätte ein individualisiertes Mailing beilegen können. Oder den Flyer personalisieren können. Wohl aus Kostengründen (mein Warenkorb war 1,99 Euro groß) passiert das nicht. Es liegt "nur" ein Flyer bei. Dennoch zeigt das unpersonalisierte Dialogmedium, wie weit man auch mit kleinem Kommunikationsbudget kommt.
Die Gestaltung: Anzucht ist schwierig. Als Besitzer eines diplomierten braunen Daumens weiß ich, wovon ich spreche. Die selbst gestaltete Produktverpackung ist sowohl mit dem Shop-Label gebrandet und besitzt zudem sehr detaillierte Aussaat-Anleitungen. Der im selben Design gestaltete Flyer gibt zusätzliche Tipps zur Anzucht und wird deswegen sicher von der Zielgruppe beachtet.
Ebenfalls im Flyer enthalten ist das übliche Kommunikationsmittel im Handelsmarketing: ein zeitlich limitierter 10-Prozent-Gutscheincode. Dieser dominiert jedoch nicht die Kundenkommunikation, sondern erhält lediglich zweieinhalb Zeilen in dem ohnehin textarmen Flyern. Es dominieren statt dessen Wohlfühlbilder für Hobbygärtner: Menschen beim Säen, beim Pflanzen, beim Ernten.
Hauptargumentation: Statt der in der Handelskommunikation zu erwartenden Argumentation ("Du hast gekauft. Hier gibt es noch mehr Angebote") geht Simon Faubel einen anderen Weg. Sein Flyer hat einen Dreiklang. Erstens: "Du musst nur die Saat dafür legen" erzählt, wie man mit dem gekauften Produkt am besten umgeht.
Und dann folgt Teil zwei und drei: "Wir haben deine Ernte schon vor Augen! Und du?" Hier wird die Kundschaft aufgefordert, Fotos zu schießen und mit #samenfritze online zu veröffentlichen, um so Teil einer Community zu werden. Schließlich als Verstärker auf der Rückseite noch einmal die Wiederholung der Aufforderung: "Teile deine Erfolge mit uns." Mit dem QR-Code und dem Hinweis auf die Facebook- und Instagram-Account.
So hat das Mailing bei mir funktioniert: Anders als bei anderen Paketbeilagen habe ich mich mit dieser beschäftigt - weil sie einen konkreten Nutzen besitzt. Detailinformationen zur richtigen Anzucht - das will jeder Hobbygärtner. Und gelernt habe ich auch noch etwas - über Licht- und Dunkelkeimer.
Eine explizite Personalisierung und die persönliche Aufforderung zu Dialog und Interaktion ist an dieser Stelle gar nicht nötig. Das Geld hat sich Simon Faubel zurecht gespart. Es genügt die implizite Personalisierung mit einer hohen Customer Experience. Interaktion erreicht das Dialogmedium durch die bebilderte Aufforderung, Teil einer Community zu werden, die einen für Aufzucht und Ernte bewundert (anders als die gewöhnlich ignorante persönliche Umgebung). Eine Instagram-Suche zeigt, dass die Aufforderung - nun ja - Früchte trägt.
Etwas nachdüngen könnte man den Kommunikationskanal schon. Zum Beispiel, wenn der QR-Code auf eine passende Landingpage, statt auf die Startseite zeigen würde. Oder man eine Newsletter mit den Erfolgsfotos ausloben würde. Aber dieses Dialogpflänzchen ist schon recht vielversprechend.
Samenfritze.de
In unserer Rubrik "Dialog des Monats" stellen Marketingexperten regelmäßig eine Dialogmaßnahme vor, die ihnen aufgefallen ist. Die Rezension in diesem Monat stammt von ONEtoONE-Herausgeber Joachim Graf - der auf seinem Balkon eher erfolglos gartelt. Aber vielleicht reicht es ja dieses Mal für ein Foto und einen #samenfritze-Post.