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Glosse

Aus dem Tagebuch eines Agenturchefs (8): Der Agenturkauf - Teil 2: Wachsweich

25.04.2024 - Wir blättern im Tagebuch von Andreas Haupt, Gründer, CEO und Zulangeschon-Chef der Agentur HAUPTGEWINN, der nach eigenen Angaben coolsten Agentur südlich des Polarkreises, die sich manchmal gekonnt um den Finger wickeln lässt.

von Christian Faltin

Was in Teil 1   passierte: Maria und Andreas, Co-Eigner der Agentur HAUPTGEWINN, wollen nochmal wachsen und eine kleinere Agentur zukaufen. Auf Vermittlung ihres Beraters Bernd starten sie Verhandlungen mit Anita, der Gründerin und Inhaberin der Agentur CONTENTHEROES. Allerdings stellt sich nach den ersten vorsichtigen Schritten heraus, dass die Preisvorstellungen seeeehr weit auseinander liegen. Hat Bernd noch eine Lösung? Wird Anita ihre Preisvorstellung revidieren? Kommen beide Parteien trotzdem noch zusammen?


18. März

Das Wochenende ist rum und immer noch keine Antwortmail von Bernd. Ich klingel mobil bei ihm durch:
Bernd: "Du hast Glück, Andreas, dass Du mich erwischt. Eigentlich wollte ich noch bis morgen digital detoxen und Handy sowie Mail komplett abgeschaltet lassen. Was gibt's?"

Ich antworte: "Hey Bernd, du bist unser Berater. Wir stecken mitten in Verhandlungen und, ums vorsichtig zu sagen, die Preisvorstellungen von Anita und uns liegen Lichtjahre bzw. mehrere Unternehmensgewinne auseinander. Du hattest uns damit geködert, dass da was GÜNSTIG ginge."

Bernd ist komplett gechillt: "Hey Andreas, nur die Ruhe, Brauner. Das ist doch völlig normal am Anfang von Verhandlungen. Versetz Dich doch mal in ihre Lage: Anita hat 30 Jahre an der Front geschuftet, die Agentur gegen viele Widerstände alleine durchgezogen, Generationen von Mitarbeitenden ausgebildet und ertragen. Da steht ein Kaufpreis ja immer auch zum Teil für die Würdigung einer Lebensleistung. Außerdem überleg mal: Sie ist gerade mal Ende 50. Da braucht sie ne Menge Geld, um als Privatier nicht in der Altersarmut zu landen."

Mein Blutdruck steigt: "Schon verstanden, Bernd, aber ich bezahle doch nicht für die Vergangenheit. Fakt ist, der Laden verdient im Augenblick kein Geld mehr. Und das seit über drei Jahren. Ich weiß ja noch nicht mal, wie viel Umsatz die CONTENTHEROES genau mitbringen, weil wir die Vertragslaufzeiten mit den Kunden nicht kennen."

Bernd: "Du kennst doch die Vertragslaufzeiten eurer Kunden. Geh mal davon aus, dass es bei Anita nicht sehr viel besser aussieht."

"Und jetzt, was empfiehlst Du?", habe ich Bernd gefragt. "Wir hätten ihr für die Agentur maximal 50.000 Euro all inclusive geboten und einen Vertrag über sechs Monate als Beraterin, der ebenfalls mit 50.000 Euro dotiert ist. Dann müssten wir bei der Übernahme ans Personal ran und schauen, ob wir den Laden gemeinsam wieder schwarz bekommen."

Bernd: "Das ist zumindest schon mal eine Gegenposition. Sie will 300.000 Euro, ihr bietet 100.000. Da ist das Gap allerdings noch ziemlich groß. Überlegt doch mal in Richtung eines Asset Deals, der an bestimmte Bedingungen gebunden ist. Also knüpft den Kaufpreis beispielsweise an den Umsatz, den ihr mit den CONTENTHEROES in den nächsten zwei Jahren erzielt. Entlasst Anita schnell in ihre Freiheit (so nach drei Monaten, mit einer ordentlichen Summe für die ersten Monate danach) und die Restzahlungen ergeben sich dann aus den konkreten Umsätzen der nächsten 24 Monate. Und vor allem: Rede mit Anita nochmal persönlich in einem netten Rahmen und keinesfalls nur per Mail."

"Danke, Bernd. Wir werden das mit Maria intern nochmal diskutieren."


19. März

Maria und ich haben lange und kontrovers diskutiert. Und wir haben uns entschieden: Einen nächsten Schritt wollen wir noch wagen. Vielleicht in einem kleineren Setup, damit das Ganze einen weniger offiziösen Charakter kriegt. Ich schreibe Anita eine Mail, dass ich mich gerne allein nochmal mit ihr persönlich treffen würde, vielleicht abends in einem netten Lokal ihrer Wahl. Dann hätten wir auch etwas mehr Zeit zur Diskussion und sind nicht so termingetrieben wie bei einem Mittagslunch. Die Rückmail kommt flott: "Ja gerne, Andreas. Was hältst Du von übermorgen im LeChic, das ist ein netter Franzose, zentral gelegen?" Ich bestätige.


22. März

Das war ein toller Abend mit Anita gestern. Wir sind uns tatsächlich nähergekommen. Aber anders, als gedacht. Anita war witzig, intelligent, attraktiv und wir haben ganz wenig über Zahlen gesprochen. Eigentlich haben wir uns wechselseitig die Anekdoten unseres Agenturlebens erzählt. Das war sehr schön. Die Nacht danach auch. War das jetzt ein Fehler, die professionelle Verhandlungsebene verlassen zu haben?

In der Agentur treffe ich Maria, die mich natürlich gleich löchert, wie das Gespräch verlaufen ist. Ich deute ihr den Verlauf des Abends an. Maria findet das nicht lustig: "Bist Du komplett plemmplemm? Du solltest die finanziellen Grenzen ausloten und nicht die persönlichen überschreiten. Wie viel von unseren internen Problemen hast Du Anita erzählt? Wie ich dich kenne, wahrscheinlich viel zu viele. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Anita nach diesem Abend noch weiter mit uns verhandelt. Wahrscheinlich schickt Sie dir heute oder morgen eine Mail, in der sie Dir nett mitteilt, dass sie das Persönliche und das Berufliche lieber trennen würde. Und das war es dann mit HAUPTGEWINN und den CONTENTHEROES!"

Ich etwas kleinlaut: "Bist Du vielleicht eifersüchtig, Maria? Jetzt warte doch mal ab. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Anita diesen Abend und seinen Verlauf strategisch geplant hat. Wir sind doch nicht bei James Bond."

Maria explodiert: "Du hast keine Ahnung von Frauen, Andreas. Das war immer schon dein HAUPTproblem."


23. März

Maria hatte Recht, leider. Heute kam die Mail von Anita. Sie bedankte sich für den netten Abend und beendete gleichzeitig unsere persönliche und berufliche Beziehung. Nichts für ungut, aber sie würde ein anderes Angebot präferieren. Trotzdem würde sie mir persönlich und HAUPTGEWINN natürlich alles Gute für die Zukunft wünschen. Boah, damit hätte ich nie gerechnet. Was für eine Abgezockte ...

Und jetzt kommt auch noch der Weg nach Golgatha, rüber in Marias Büro und ihr die Nachricht überbringen. Das wird ein Scheißtag.


5. April

Heute große Aufmacher News bei ADLAND: "Die GOLDENEN REITER übernehmen die CONTENTHEROES". Anita ist in der neuen Geschäftsleitung für die Unit Content/PR verantwortlich. Über die Konditionen wird Stillschweigen vereinbart. Ich bin sauer. Ziemlich sogar. Geht in Richtung pH-Wert 2.

Ich rufe Bernd an: "Kannst Du mir sagen, was die GOLDENEN REITER geboten haben, was wir nicht haben bieten können?"

Bernd antwortet etwas kurz angebunden: "Andreas, die haben das Ganze professioneller angegangen. Mit mehr Wertschätzung, vor allem finanziell. Und es muss Dir doch klar gewesen sein, dass man bei einem Agenturverkauf nie nur mit einem Käufer verhandelt. Das wäre fahrlässig. Außerdem haben sie Anita eine smartere Form des Exits angeboten. Und, aber das bleibt bitte unter uns, sie hatten den größeren Druck zuzukaufen, weil sie als Network-Mitglied von der Zentrale knallharte Umsatzvorgaben bekommen haben."

"Aber Du bist fein raus, weil du deine Provision in jedem Fall aufs Konto bekommst, oder?"

Bernd: "So ist das Leben, Andreas, aber ich muss jetzt leider weiter, ich habe gleich eine Einladung auf die Yacht Topaz. Da kommt man eigentlich sonst nie drauf. Ich halte aber meine Ohren offen und melde mich asap, wenn ich ein neues Übernahmeangebot für Euch habe."


8. April

Was hab ich mich am Wochenende geärgert. Über meine Naivität, darüber, dass Maria mal wieder Recht hatte und über die Tatsache, dass die GOLDENEN REITER die gute Presse bekommen haben. ABER: Nicht mit mir. Ich werde das nicht auf mir sitzen lassen. Eine wichtige Info hat mir Anita nämlich auch verraten: Dass Sie operativ gar nicht mehr so stark eingebunden ist. Die Kunden verarzten hauptsächlich ihre zwei Unit-Leiterinnen: Paula im Bereich PR und Carla in der Content-Unit. Warum nicht die beiden abwerben? Und den einen oder anderen Kunden gleich mitnehmen? Wir machen den beiden ein Angebot, dass sie nicht ablehnen können. Schließlich hat Anita unvorsichtigerweise erwähnt, wie viel sie ungefähr verdienen.

Das kommt uns in Summe deutlich günstiger als eine Übernahme. Und Bernd kann sich die Provision auf sein Croissant schmieren. Jetzt muss ich nur noch Maria von der Teamhunting-Aktion überzeugen.


Zum Autor: Christian Faltin und Andreas Haupt kennen sich schon lange. Beide schreiben regelmäßig Tagebuch - schonungslos fiktiv, gnadenlos persönlich und nichts für schwache Nerven. Mit der Realität hat das natürlich gar nichts zu tun, deswegen ist auch keine künstliche Intelligenz im Spiel. Bis auf eine kleine Ausnahme. Mehr über den einen Autor unter Christianfaltin.de   . Er hat auch ein ganz tolles Linkedin-Profil.

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